Der Mitteldeutsche Heimat- und Trachtenverband e.V. (MHTV)

 

Märkischer Almanach zur Märkischen Volksmusik

Das Bezirkskabinett für Kulturarbeit des Bezirkes Potsdam gab, wie anderen Bezirke der ehemaligen DDR, in loser Folge Fachschriften für die folkloristische Kulturarbeit heraus. Eine bemerkenswerte Ausgabe ist die aus dem Jahr 1989 mit dem Titel: „Märkischer Almanach“. Hier ein interessanter Auszug.

In dieser 64-seitigen Broschüre geht es um Folklore und Folklorepflege im Bezirk Potsdam. In einem Beitrag aus dem Jahre 1987 geht es um „Märkische Volksmusik – ausgestorben?“. Auf den anderen Seiten geht es um das „Platt“ beziehungsweise um die Flämingtracht. Es gab also Mitte/Ende der achtziger Jahre durchaus Bemühungen in der DDR, das volkskünstlerische Erbe am Leben zu erhalten beziehungsweise zu fördern.

Hier der Auszug:

„Märkische Volksmusik – ausgestorben?

Volksmusik - das sind auch Volkslieder und Volkstänze. Beide hat es in der Vergangenheit auf dem Gebiet der Mark Brandenburg in derselben Vielfalt, Schönheit und Vitalität gegeben wie in anderen Landschaften. Geblieben an typisch ‚Märkischem‘ ist wenig. Der profunde Kenner des Volkstanzes Herbert Oetke schrieb schon 1952:

,Märkische Tänze hat es vor nicht allzu langer Zeit in einer Fülle und Reichhaltigkeit gegeben, daß man erstaunt sein muß, bei den heutigen Festen und Feiern in den ländlichen Bezirken der Mark fast nichts mehr davon vorzufinden. Dies ist umso auffälliger, als gerade die märkischen Heimattänze durch eine ausgesprochene Eigenwilligkeit und einen prachtvollen bodenständigen Humor ausgezeichnet waren und somit alle Voraussetzungen in sich trugen, sich länger zu behaupten, als es tatsächlich der Fall war.‘ [1, Vorwort] Bestes Beispiel ist der ‚Reichsverweser‘, welcher viel getanzt wurde und heute noch als Kinder-Tanzspiel erhalten ist.

Reichsverweser (Märkischer Volkstanz)

Tanzanweisung:

Teil A: 3 x in die Hände klatschen, 3 x mit den Füßen aufstampfen, dem Partner mit dem Finger drohen, eine Drehung

(alles wiederholen)

dazu singen:

‚Und mit den Händen klapp, klapp, klapp, und mit den Füßen trapp, trapp, trapp,

na warte man, na warte man,

ich zeig' dir, wie ich tanzen kann!‘

Teil B: Polka-Rundtanz oder Galopp.

Oetkes Feststellungen sollen für den Volkstanz mit zwei Beispielen erhärtet werden. In einem Heimatkalender des Kreises Prenzlau [2, S. 136 – 137] aus dem Jahre 1929 findet sich der tänzerische Ablauf einer märkischen Hochzeit. Begonnen wurde diese mit dem ‚Brauttanz‘, einem Solotanz. Später folgte der ‚Rückereitanz‘, bei dem die Braut im Inneren zweier Kreise stand. Der Bräutigam mußte von außen durch die an den Händen gefaßten Gäste zu seinem künftigen Eheglück durchdringen — ein Ehetest?! Beim ‚Altweibertanz‘ wurde eine Polka gespielt, zu der die älteren Frauen des Dorfes sangen:

‚Jungfrau, din Pott brennt an,

du häst keen Bodder in de Pann.

Schmiet een Klut hinnerdran,

dänn brennt di't Fleesch nich an!‘

Gespielt wurden neben üblichen Volkstänzen wie Rheinländer, Polka, Walzer noch der ,,Abwaschtanz" und zum Abschluß der ‚Kedeltanz‘ mit den bekannten Versen:

‚Scheert den Kedel ut,

dat is mine Brut…‘

Die heute 88-jährige Hulda Kirke aus Wünsdorf schrieb uns zu den Festen ihrer Jugend ‚Dann Polonaise auf einen Tisch, mitten im Saale draufsteigen und sich mit dem Partner ohne Schamgefühl küssen. Es gab kein Pardon, wenn mal ein ungleiches Paar dem Alter entsprechend nicht wollte. Nun werden Sie ein wenig lächeln!?‘

Man kann sich nach diesen Worten die Ausgelassenheit der ländlichen Feiern vorstellen.

Zum Vergleich eine der wenigen, heute noch alljährlich im Januar stattfindenden Traditionen - die ‚Männerfastnacht‘ in Wiepersdorf im Fläming. Zugelassen sind nur verheiratete Paare; die Frauen erscheinen in Flämingtracht, die Männer im schwarzen Anzug. Neu Verheiratete des letzten Jahres müssen ‚antanzen‘ - eine Extratour, alle Feiernden stehen dazu im Kreis und klatschen. Es folgt ein buntes Durcheinander von Volkstänzen, den Abschluß bildet ein Essen um Mitternacht. Zwei Tänze sind es, die immer wieder verlangt und auch von allen beherrscht werden: ein Rheinländer-Potpourri und ‚Annemarie‘. Bei letzterem steht die Frau vor dem Mann auf der Kreislinie, nach jedem zweiten Schritt erfolgt eine Drehung. Bemerkenswert ist, daß die exakten Volkstanzschritte, z. B. die der Polka, nur noch von den älteren Paaren gezeigt werden, während die jüngeren Leute Diskorhythmen übernehmen. Musiziert wird in der Besetzung Gitarre, Schlagzeug, Trompete, Saxophon. Gespielt wird dabei vom Blatt (moderne Bearbeitungen alter Tänze durch DDR-Musikverlage), aber auch aus dem Gedächtnis. Der Leiter der Kapelle, Herr Kegel aus einem Nachbarort, erzählt: ‚Bis vor wenigen Jahren spielten bei uns noch zwei Rentner mit. Die kannten viele alte Tänze, vor allem Walzer und Volkslieder (z. B. ‚Es war in Treuenbrietzen‘) aus ihrer Jugend. Nach 20- bis 30mal spielen kann man die Melodien - bis heute.‘

Seit etwa 3 Jahren beginnen neue Volkstanz-Traditionen sich von Potsdam-Stadt aus zu entwickeln. Neben dem Bezirksfolkloreensemble, welches schon länger märkische Tänze auf der Bühne zeigt, engagieren sich Jugend-Musikfolkloregruppen für ‚Volkstanz zum Mitmachen‘. Das große Interesse der Jugend, aber auch älterer Menschen entsteht aus der frischen, lebendigen Musizierweise und einer Antanzgruppe, die das Lernen leichtmacht. Es wird vorgezeigt und sofort mit dem Publikum geübt. Die wachsenden Besucherzahlen der allmonatlichen Folk-Tanzabende in der HOG ‚Orion‘ am Stern und im JFZ Schlaatz sprechen für eine erfolgreiche Arbeit der Folkloregruppen ‚ANTIQUA‘ und ‚Folklore-Dick-Band‘ sowie der Antanzgruppe ‚Schwenkhops‘. Viele alte märkische Volkstänze werden auf diesem Weg neu belebt: ‚Juppjack‘, ‚Berliner Stillstand‘, ‚Schustertanz‘, ‚Kreuzpolka‘, ‚Siebensprung‘, ‚Figaro‘ (Tampet), ‚Herr Schmidt‘, der schon vorgestellte ‚Reichsverweser‘ und der ‚Totentanz‘. Dabei stellt sich ein virtuoser Tänzer in der Kreismitte tot und wird durch Küsse der anwesenden Frauen wieder zum Leben erweckt. Der Totentanz wurde noch um 1800 in der Mark getanzt.

Während zum Volkstanz, vor allem durch die dankenswerte Sammlung Oetkes ‚Schurt den Kedel ut‘ ([1], enthält 83 märkische Tänze mit Noten, Tanzbeschreibungen und historischen Anmerkungen), reichhaltiges Material vorhanden ist, sieht die Quellenlage für Volkslieder wesentlich prekärer aus. Es existiert außer Parasius‘ spezieller Sammlung zur Altmark [3] keinerlei märkische Volksliedsammlung in größerem Umfang.

Im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, als sich das Absterben des Volksliedsingens abzeichnete, begannen bürgerliche Enthusiasten mit einer umfangreichen Sammeltätigkeit. Für Franken (Ditfurt), Thüringen (Hartenstein), Lothringen (Pinck) und andere Gebiete entstanden hervorragende landschaftliche Volksliederbücher - aber es engagierte sich niemand für das Liedgut der Mark Brandenburg. Die existierenden märkischen Zusammenstellungen:

- Märkisches Liederblatt. Fritz Klämbt, Leipzig, 1912,

- Alte Volkslieder der Mark Brandenburg. Frankfurt (Oder), 1983,

- Volkslieder aus dem Oderbruch. Frankfurt (Oder), 1981

stellen nur einen Aufguß aus Erk/Böhmes ‚Deutschen Liederhort‘ (Berlin 1893/94 dar), dem Standardwerk deutscher Volkslieder, welches mehr als 1.000 verschiedene Lieder mit Varianten aus ganz Deutschland enthält.

Abschließend zu den schriftlichen Quellen noch zwei Hinweise: zum ersten - es gibt in der Wissenschaftlichen Allgemeinbibliothek Potsdam ein ‚Märkisches Liederbuch‘ [4] vom Ende des 19. Jahrhunderts. Dieses enthält 100 Texte märkischer Dichter zu Volkslied- bzw. volkstümlichen Melodien. Man findet mehr oder weniger (für den heutigen Geschmack meist weniger) gelungene lyrische Bearbeitungen von Sagen, Trink- und Wanderliedern sowie Lob- und Preisgesänge auf die märkische Heimat.

Als zweites - zum großstädtischen Volkslied und Berliner Gassenhauer gibt es mehrere, sehr sorgfältig erarbeitete Bücher von Lukas Richter. Um Überreste märkischer Volkslieder oder Volksliedvarianten aus der Mark festzustellen und zu erhalten, wurde 1985 vom Bezirkskabinett für Kulturarbeit Potsdam und ab 1986 von der Bezirksarbeitsgemeinschaft Musikfolklore eine Zeitungsaktion organisiert. Ziel war, Adressen von Leuten zu ermitteln, die diese Lieder noch kennen. Die traditionellen Melodien sollten aufgezeichnet und neu veröffentlicht werden. Es schrieben uns über 50 vorwiegend ältere Menschen. Die Auswertung dauert zur Zeit noch an. Abzusehen ist, daß sehr viel Liedgut des Wandervogels, Schulvolkslieder, vom Arbeitersportvereinen, Naturgruppen und coupletartige Lagerfeuerlieder erhalten sind - wenig traditionell Märkisches.

In Brandenburg-Stadt beispielsweise, wo seit langer Zeit bis heute am Vorabend des 1. Mai ‚Hexenabend‘ (Walpurgisnacht) gefeiert wird, wären zugehörige Lieder zu erwarten gewesen. Die Kinder ziehen, als Hexen verkleidet (angemalt, mit einem Kissen als Buckel), von Haus zu Haus und erhalten Süßigkeiten. Außer einem Spruch ist nichts überliefert.

Wir möchten deshalb auch auf diesem Wege auffordern:

Falls Sie altes Liedgut aus unserer engeren Heimat kennen, welches nicht in den gängigen Liederbüchern enthalten ist, bitte schreiben Sie uns!

Uns interessieren auch eventuell vorhandene Volkslieder im Brandenburger oder Fläming-Platt und Lieder, die jedes Jahr zu bestimmten Anlässen gesungen werden. Wichtig wäre die Archivierung des überlieferten Notenmaterials solcher (Volks-) Tanzkapellen wie in Wiepersdorf bei der ‚Männerfastnacht‘.

Zum Abschluß eines der wenigen traditionellen Lieder, welches bis heute gern gesungen wird und typisch märkisch ist:

Fritze Bollmann

  1. Und in Brandenburg auf dem Beetzsee, da steht ein Angelkahn

Und darin sitzt Fritze Bollmann mit seinem Angelkram.

  1. Fritze Bollmann wollte angeln, da fiel ihm die Angel rin.

Fritze Bollmann wollte sie langen und dabei fiel er rin.

  1. Fritze Bollmann schrie um Hilfe: ‚Liebe Leute, rettet mir,

denn ick bin ja Fritze Bollmann, aus die Altstadt der Barbier!

     4.Und die Angel ward gerettet, Fritze Bollmann, der versuff.

Und seitdem geht Fritze Bollmann uff'n Beetzsee nicht mehr ruff.

  1. Fritze Bollmann kam in' Himmel: ‚Lieber Petrus, laß mir durch, denn ick bin ja Fritze Bollmann, der Barbier aus Brandenburg!‘
  2. Und der Petrus hatte Mitleid, und der Petrus ließ ihn rin:

‚Du kannst mir ja gleich barbieren, komm mal her und seif mir in.‘

  1. Fritze Bollmann, der barbierte, Petrus schrie: ‚O Schreck und Graus, tust mir schändlich massakrieren, das hält ja kein Deibel aus!
  2. Uff de große Himmelsleiter kannste wieder runterjehn,

kratz man unten feste weiter, ick laß mir ‚nen Vollbart stehn!‘“

Potsdam, im März 1987, Peter Pollack (BAG Musikfolklore)

Quellen:

[1] Herbert Oetke: Schurt den Kedel ut - märkische Volkslieder und Volkstänze, Halle/S., 1952,

[2] Heimatkalender im Kreis Prenzlau. 4. Jg. 1929, dort S. 136 - 137 „Alte Märkische Hochzeitstänze“ von Gustav Metscher,

[3] Ingeborg Weber-Kellermann: Parisius und seine altmärkischen Volkslieder. Berlin, 1957,

[4] Fritz Eichberg: Märkisches Liederbuch. Berlin, 1897,

[5] Franz Magnus Böhme: Geschichte des Tanzes in Deutschland. 2 Bände, Leipzig, 1886,

[6] Fritz Jöde: Der Musikant. Wolfenbüttel, 1923.

 

In der 64-seitigen Broschüre „Märkischer Almanach“ aus dem Jahr 1989 geht es um Folklore und Folklorepflege im Bezirk Potsdam

„Dann Polonaise auf einen Tisch, mitten im Saale draufsteigen und sich mit dem Partner ohne Schamgefühl küssen.“

„Nach 20- bis 30mal spielen kann man die Melodien - bis heute.“

„Es existiert außer Parasius‘ spezieller Sammlung zur Altmark [3] keinerlei märkische Volksliedsammlung in größerem Umfang.“

Zentralhaus und Bezirks- und Kreiskabinette

Das Zentralhaus für Kulturarbeit – hervorgegangen aus der 1949 gegründeten Zentralstelle für Volkskunst – wurde am 1. Februar 1952 in Leipzig als „Zentralhaus für Laienkunst“ gegründet und 1954 zunächst in „Zentralhaus für Volkskunst“ umbenannt, 1962 hieß es schließlich „Zentralhaus für Kulturarbeit der DDR“. Es war dem Ministerium für Kultur unterstellt. Seine Aufgabe bestand darin, Konzepte für die Entwicklung der Volkskunst sowie für die Klubarbeit in der DDR zu erstellen. Gemeinsam mit den untergeordneten Kreis- und Bezirkskabinetten war es für die kulturelle Breiten- und Jugendarbeit zuständig.