Der Mitteldeutsche Heimat- und Trachtenverband e.V. (MHTV)

 

Deutsche Volktanzkostüme

Manchmal ist ein Blick in das Bucharchiv sehr informativ. Den hat für uns Marlies Koppehele, die Trachtenreferentin der DGV, getan und dabei ein lesenswertes Buch aus dem Jahr 1957 gefunden: „Deutsche Volkstanzkostüme“, herausgegeben vom Zentralhaus für Volkskunst, Entwürfe Hanna Leitner, wissenschaftliche Bearbeitung Alfred Fiedler aus dem VEB Friedrich Hofmeister Leipzig.

Bis etwa Ende der fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts hat die Kulturpolitik der DDR viel für die Pflege und den Erhalt von Brauchtum, wie zum Beispiel Volkslied und Volkstanz, unternommen.

Mögliche Gründe für die damalige Förderung sind aus heutiger Sicht eher spekulativer Art.

Als Arbeiter- und Bauernstaat ging es unter anderem darum, die Rolle der Städter (Arbeiter) und die der Landbevölkerung (Bauern) politisch, aber auch kulturell zu fördern, um ihnen Identität und Selbstbewusstsein zu geben, beziehungsweise dieses zu stärken.

Eventuell wollte man sich auch vom wirtschaftlichen und politischen „Konkurrenten“ BRD abgrenzen und vielleicht sogar auf dem Gebiet der Volkskunst Vorbild für ganz Deutschland sein?

Denn man erkannte relativ schnell, dass man gegen die kulturellen Einflüsse der englischen beziehungsweise amerikanischen Musik und Mode kein wirklich geeignetes Mittel hat, um diesen Konkurrenzkampf zu bestehen. Aber wie gesagt, dies ist rein spekulativ.

In diesem kulturpolitischen Spektrum wurden Kulturgruppen, wie zum Beispiel Chöre, Theatergruppen, Trachten- und Volkstanzgruppen, um nur einige zu nennen, von politischer Seite aller Ebenen, also Staat, Bezirk (Land), Kreis (Landkreis) und lokal finanziell, aber auch organisatorisch außerordentlich unterstützt. Auf lokaler Ebene geschah die Förderung meist durch Betriebe, wie Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG), die oft mehrere hundert Mitarbeiter hatten, oder große Industriebetriebe.

So bildeten sich mehr oder minder flächendeckend sogenannte Volkskunstkollektive heraus.

Auf Kreisebene geschah diese volkskünstlerische, aber auch finanzielle Förderung durch das Kreiskabinett für Kulturarbeit.

Und auf Bezirksebene, also Länderebene, durch das Bezirkskabinett für Kulturarbeit.

Zusätzlich wurden sogenannte „Folklore-Ensemble“ in allen 15 Bezirken (einschließlich Ostberlin) unterhalten. Die Mitglieder der Folklore-Ensemble waren in aller Regel Berufs-Volkskünstler. Sie mussten eine entsprechende Eignung vorweisen und hatten beziehungsweise erhielten eine entsprechende Ausbildung auf dem jeweiligen Gebiet der Volkskunst.

In diesem Zusammenhang sind auch die Publikationen zum Thema Tracht beziehungsweise Volkstanz zu sehen. Volkskunst war damals ein Bereich, der eher noch unpolitisch agierte.

Ein sehr empfehlenswertes Buch ist „Deutsche Volkstanzkostüme“ dessen Vorwort einen guten Überblick über den Inhalt gibt.

Marlies Koppehele

 

 

„Deutsche Volkstanzkostüme“: Ein lesenswertes Buch aus dem Jahr 1957

Grafik: Hofmeister

 

Einführung

Dieses Werk verdankt seine Entstehung einem dringenden Wunsche unserer Volkstanzgruppen. Seit langem schon bemühen sie sich, ihre Tänze durch ein künstlerisches Tanzkleid im Ausdruck zu steigern. Was lag näher, als den reichen Schatz des nationalen Kulturgutes, der uns in unseren Volkstrachten gegeben ist, zu studieren, gehören doch Volkstracht und Volkstanz innig zusammen. Naturgemäß ergaben sich bei diesem Studium die mannigfachsten Fragen. Da die Volkstrachten selbst im Laufe der Zeit einem steten Wandel unterlagen, galt es zu entscheiden, welche Tracht zu wählen sei. Eine Originaltracht aber sich zuzulegen, mußte, ganz abgesehen von manchen ästhetischen und hygienischen Fragen, vielfach die Mittel überschreiten, die eine Volkstanzgruppe zur Verfügung hat, zumal hinzukam, daß sich laufend ihr Tanzprogramm erweiterte, sie also verschiedene Tanzkleider benötigte. Mit Notwendigkeit sah man sich daher nach Vereinfachungen um. Die umfangreichen Erörterungen um die Gestaltung eines finanziell erschwinglichen und doch volkskünstlerisch wertvollen Tanzkleides gipfelten schließlich in der Forderung nach einem Verwandlungskostüm. Dieses sollte imstande sein, ein Grundkostüm durch einige besondere Stücke so zu verändern, daß die Tracht eines Gebietes, in dem der Tanz beheimatet ist, charakterisiert wird. Es handelt sich zweifellos um kein einfaches Anliegen. Nahe lag auch, daß man die Lösung einer so schwierigen Aufgabe nicht den Volkstanzgruppen allein überlassen konnte. Trachtenforscher wie Kostümgestalter waren zu Rate zu ziehen. Als das Ergebnis ernster Bemühungen meinen wir, dieses Werk vorlegen zu können. Es will dem kulturellen Erbe der Volkstrachten ebenso gerecht werden wie den mannigfachen Notwendigkeiten, die mit der gegenwärtigen Volkstanzpflege gegeben sind.

Die hier gebotenen Lösungen stellen keinen Kodex dar, den man peinlich befolgen muß. Sie schließen andere und gar bessere Lösungen nicht aus. Im Übrigen haben sie den Hauptblick auf den Schnitt und das farbige Gesamtbild des Tanzkostümes gerichtet, so daß für die Gestaltung der Ornamente auf Haubenböden oder Schultertüchern freiester Spielraum verbleibt. Hier, meinen wir, sind die einfachen Möglichkeiten zu schlichter volkskünstlerischer Leistung noch heute für alle gegeben. Hier vermögen unsere Volkstanzgruppen sich mit den Zirkeln für angewandte Kunst zusammenzufinden, um ein fröhliches, sinnvolles, da einleuchtend zweckhaftes, Tun zu betreiben. Nichts kann und sollte sie hindern, traditionelles Gut geschmackvoll weiterzuentwickeln. Absichtlich möchten wir daher hier keine Muster verbindlich machen. An Anregungen zu eigener Gestaltung kann es nicht fehlen. Man nütze unsere Lichtbildreihe über „Deutsche Trachtenornamente“, die 1954 an alle Bezirkshäuser für Volkskunst ausgegeben wurde, ferner unser Trachtenbuch (A. Fiedler, Deutsche Volkstrachten, Hofmeister-Verlag, Leipzig 1954) sowie die zahlreichen über das Volkskunst-Ornament in der Zeitschrift „Volkskunst“ erschienenen Artikel.

So bewegt sich unser Werk absichtlich innerhalb klar gesetzter Grenzen. Es bietet vornehmlich Hilfe im Schnitt und im Blick für die gesamtkünstlerische Anlage des Kostüms. Es ist keine Frage, daß hier und nicht in der detaillierten Auszier durch Stickereien für unsere Volkskunstgruppen die größten Schwierigkeiten vorliegen. Für das Grundkostüm haben wir sogar einen regelrechten Schnittmusterbogen beigelegt. Im Übrigen dürften die sonstigen Schnittzeichnungen leicht ablesbar sein.

Grundsätzlich müssen wir bemerken, daß es sich in unserem Werk nicht um die Gestaltung von Volkstrachten, sondern um den Entwurf von Tanzkostümen handelt. Wer dies berücksichtigt, wird weder zu Fehldeutungen noch zu falschem Gebrauch gelangen. Wir meinen, diese Erklärung ausdrücklich zunächst einmal allen Trachtenforschern und Volkskundlern schuldig zu sein. Sie sehen die Volkstracht aus Gemeinschaftsbindung, Sitte und Brauch wie aus der Wechselwirkung mit der Mode, die ehedem die Kleidung der herrschenden Schichten war, seit Jahrhunderten hervorwachsen. Einige haben dabei sogar die Vorstellung eines organischen Wachstums zu entwickeln versucht, wie etwa der jüngst verstorbene Trachtenforscher des Odenwaldes, v. d. Au. Allzu oft hat man freilich dabei Vorgänge bewußter Trachtenformung von außen her übersehen. Doch sind wir auch der Auffassung, daß man der Entwicklung noch bei uns lebender Trachten nicht vorgreifen soll. Daher fußen unsere Entwürfe auch nur auf Vorlagen, die bereits museales Gut geworden sind oder nahe daran sind, solches zu werden. Trachten, die noch heute verbindlich im Alltag getragen werden, sind nicht berücksichtigt worden. Von ihnen haben bestimmt diejenigen die besten Aussichten fortzuleben, die die gesunde schlichte Formen aufweisen, wie dies in den oberbayrischen Gebirgstrachten der Fall ist.

Unseren Volkstanzgruppen aber wird man nahezulegen haben, mit den Tanzkostümen nur zweckentsprechend umzugehen. Dies wird umso mehr der Fall sein müssen, sofern sie etwa den Ausdruck in der Auszier besonders bühnenmäßig überhöhen. Nicht jedes eignet sich für alles; und was zum Beispiel auf der Bühne wirksam ist, wirkt möglicherweise auf der Straße nur lächerlich und abstoßend.

So sehr wir im Übrigen gehalten waren, alle Formen auf Vereinfachung hin zu durchdenken, wobei uns der Blick auf die Arbeits- und einfachen Sonntagstrachten leitete, so möchten wir nicht, daß die Kostümentwürfe Anlaß zu noch weiterer Abstraktion werden und zu reinen Phantasiegewändern führen. Wir müssen darauf bestehen, daß die Eigenart einer bestimmten Landschaft getroffen wird. Es sollten dabei auch nicht die Formbestände verschiedener Landschaften gedankenlos vermischt werden. Fast mußte es schon als gewagt gelten, einen gewissen Formenschatz deutscher Trachten auf drei Grundkostüme zurückführen zu wollen, wie wir es getan haben. Immer wieder hat man sich darauf zu besinnen, daß die Kostüme von den Volkstrachten her zu gewinnen sind und diese gewissermaßen zu vertreten haben, somit auch Zeugnisse der in ihnen antreffbaren typischen und charakteristischen Werte sein möchten. Insgesamt sollen es realistisch und ästhetisch reizvolle Prägungen sein. Sie sollen Freude und Optimismus ausstrahlen. Wir haben uns daher an den schönsten Ausdruck der Volkstrachten gehalten, den sie auf der Höhe ihrer Entwicklung zumeist haben. Da sind sie gewöhnlich sehr farbfreudig, während sie in der Zeit ihres Niederganges verblassen, mehr noch, verdunkeln.

Was die Auszier der Schultertücher, Brustlätze oder Haubenböden betrifft, so sei über die oben gegebenen Hinweise hinaus nur kurz bemerkt, daß die deutschen Trachten Blumenornamente bevorzugen. Geometrische Ornamente treten erst in zweiter Linie auf. Außerdem fanden nur wenige Blumen Verwendung. Es handelt sich meist nur um Rosen, Tulpen, Nelken oder Sternblumen. Diese bildete man jedoch nie naturalistisch in Form und Farbe nach, sondern ging frei mit ihnen um. Der Dreisproß gestattete beste Anpassung an die Architektur des Trachtenstückes und führte zur schönsten Füllung der zur Verfügung stehenden Flächen. Nichts dürfte uns heute hindern, die Anzahl der verwendeten Blumen zu vergrößern. Bei der farbigen Gestaltung ist jedoch zu beachten, daß leuchtende Farben, insonderheit das Rot, in der Tracht allgemein als die Farben der Jugend gelten. Besondere Verpflichtung in der Beachtung der Farben sind dem auferlegt, der eine heute noch gebräuchliche Tracht nachbildet.

Zum Schluß sei auf die Gesamtanordnung des Kostümwerkes eingegangen: Wir finden in ihm drei Grundkostüme vor mit jeweils besonderen Schnittangaben und einem Schnittmusterbogen. Von Grundkostüm I aus können 5 Verwandlungskostüme gewonnen werden, so ein Kostüm nach einer Braunschweiger, einer westfälischen, einer oberrheinischen, einer badischen und einer fränkischen Tracht.

Von Grundkostüm ll aus ist es möglich, Kostüme nach einer Mecklenburger Tracht, nach der Vierländer, der Scheeßeler, einer Harzer, einer Thüringer wie einer hessischen Tracht, ferner der Mönchguter, Gutachtaler und Schlierseer Tracht herzustellen.

Bei der Gruppe lll konnte eine Einheit nur im Schnitt gewahrt werden. Die Anzahl der Verwandlungen ist daher geringer. Doch bekommen wir gezeigt, wie wir zu einem Tanzkostüm nach einer Magdeburger, einer Vogtländer, Spreewälder, Jüterboger, Föhrer und Betzinger Tracht gelangen können. Im Übrigen zeigen die einzelnen Blätter rechts das vorgeschlagene Kostüm, links oben über dem Text die Originaltracht, von der in den meisten Fällen ausgegangen wurde. Nochmals sei unterstrichen: Die Entwürfe betreffen Bühnenkostüme, nicht aber Fest- oder Straßenkleider. Der Schnitt gibt nicht die historische Form der Tracht wieder. Er zeigt, welche Stücke jeweils für ein Kostüm gebraucht werden. Selbstverständlich muß er von Fall zu Fall nach Maß aufgestellt werden. Es ist außerordentlich wichtig, auf das Material und vor allen Dingen auf die Farbstellung zu achten. Wird Wert auf individuelle Ausführung gelegt, dann kann in der Farbe der Schürze, der Haubenbänder, der Stickerei, der Tücher, auch in der Breite des Rockbesatzes unterschieden werden. Bedingung ist jedoch, daß die Einheit des Gesamtbildes gewahrt bleibt. Nur die Anwendung als Bühnenkostüm gestattet die Verwendung von Applikation oder Kurbel- statt Handstickerei oder gar Malerei und von auswechselbaren Teilen.

Straßenschuhe in modischer Aufmachung und Söckchen passen niemals. Als Unterkleid ist ein weißer Rock, vielleicht sogar mit aufgesetzten Volants, angebracht, der die Weite des Oberrockes stützt.

Bezugsquelle

Das Buch ist nach wie vor beim Friedrich Hofmeister Musikverlag in Leipzig zum Preis von 24,50 Euro bestellbar

„DEUTSCHE VOLKSTANZKOSTUME“ Verwandlungskleider nach Deutschen Trachten. Herausgegeben vom Zentralhaus für Volkskunst, Entwürfe Hanna Leitner, wissenschaftliche Bearbeitung Alfred Fiedler, 1957, VEB Friedrich Hofmeister Leipzig.

www.hofmeister-musikverlag.com/catalogsearch/result/?q=volkstanzkost%C3%BCme